Wir wollen hier sehr deutlich machen: diese Kinder sind auch unsere Kinder!
Einschneidende Notlagen, Krisen und unvorhersehbare Katastrophen sind integraler und unausweichlicher Bestandteil der Realität. Die konkreten negativen Auswirkungen auf die gesellschaftliche Wirklichkeit, vor allem für schutzbedürftige und vulnerable Gruppen wie Minderheiten, sind jedoch nicht alternativlos und müssen im Zentrum zivilgesellschaftlicher Anstrengung stehen. Aus diesem Grund hatte Kapnikos Stathmos mit Unterstützung des Athenée de Luxembourg, weiterführende Schule in der Stadt Luxemburg, sowie des Förder- und Freundeskreises Elliniko e.V. aus Hamburg für den Zeitraum vom 01. Juli bis zum 17. September das Projekt Summer School ins Leben gerufen, um damit auf den Missstand zu reagieren, dass für viele Kinder unter den ca. 1000 Geflüchteten, die zurzeit in und um unsere Heimatstadt Katerini leben, das Schuljahr im Herbst mit mangelnden Sprachkenntnissen beginnen würde.
Die Herausforderungen bei der Organisation waren denkbar groß: von Sprachbarrieren in der Kommunikation mit sowie zwischen Eltern und Kindern, über ethnische Spannungen zwischen den diversen Gruppen, wochenlangen Hitzewellen und pandemischen Sicherheitsvorkehrungen mit ständiger Testung, bis hin zur kurzfristigen Absage der einzigen Unterstützung durch die Kommune, die den Transport der Kinder vom nahegelegenen Flüchtlingslager zur Schule zugesagt hatte. Auch, dass die europäische Listenverliebtheit mit eindeutigen Geburtstagen und orthographisch unveränderlichen Namen nicht universell geteilt wird, war eine lehrreiche Erfahrung.
Trotz dessen konnte zusammen mit unseren Partnern in Hamburg sowie Luxemburg und in Beratung mit den eigens hierfür eingestellten Lehrerinnen das über zehn Wochen laufende Programm erfolgreich realisiert werden. Für knapp 25 in zwei feste Altersgruppen geteilte Kinder wurde so jeden Tag zwischen 9:00 Uhr und 12:00 Uhr Sprachunterricht in unseren Räumlichkeiten angeboten, bevor sich die Teilnehmenden anschließend zwischen 12:00 Uhr und 13:30 Uhr in von einer ausgebildeten Theaterpädagogin geleiteten kreativen Projektaktionen ausleben konnten. Außerdem Teil des Ablaufs war die monatliche Ausgabe eines umfangreichen Lebensmittelpakets an die Schülerinnen und Schüler, sofern sie bei mehr als der Hälfte der Stunden anwesend waren.
Das Fazit, das wir nach Abschluss des Projekts nun treffen können, erfüllt uns mit einigem Stolz und Zufriedenheit. Die Gedanken und Hoffnungen, die wir mit dieser erstmalig stattfindenden Summer School verbunden hatten, wurden mehr als erfüllt, denn die Idee ging immer über das bloße – wenn auch elementar wichtige – Erlernen des griechischen Alphabets hinaus. In diesen Sommerwochen konnten wir Kinder beobachten und begleiten, die ihre ungeahnte Liebe zu Büchern oder andere schlummernde Talente und Interessen entdeckt haben, zum ersten Mal Selbstwert und Selbstbewusstsein gespürt haben, hier gelernt haben mit Empathie und Diskussion auf Konflikte zu reagieren. Sie haben sich zunehmend wohl, aufgehoben und ernst genommen gefühlt im Hof von Kapnikos Stathmos. Ein augenscheinlicher Beleg dafür: fast keines der Kinder hatte Schwierigkeiten die erforderliche Mindestanzahl der Stunden einzuhalten, vielmehr wollten die meisten auch an den Tagen kommen, an denen ihre Gruppe eigentlich frei hatte.
Leider wurden und werden unsere Erfahrungen und Erfolge immer wieder von der sich anspannenden Lage für Migrantinnen und Migranten konterkariert. Die Angst vor Rückführung, vergebliche Asylanhörungen und ständige Unsicherheit sind explizit und implizit immer mitgeschwungen und waren ein Damoklesschwert, das nicht nur über den Köpfen der Kinder drohte. So gilt unter großem Protest zivilgesellschaftlicher Gruppen und Beifallklatschen der EU seit Anfang Juni 2021 die Türkei als sicherer Drittstaat für Griechenland, was die menschenrechtswidrige und hoch bedenkliche Konsequenz nach sich zieht, dass Asylanträge, die von über die Türkei nach Europa Geflüchteten aus Bangladesch, Pakistan, Afghanistan, Somalia und Syrien gestellt werden, nur noch in Bezug auf die Türkei geprüft werden – 70% der Flüchtlinge haben so de facto kein Recht mehr auf europäisches Asyl.
Wir wollen hier sehr deutlich machen: diese Kinder sind auch unsere Kinder! Wir stellen uns mit allem, was wir haben gegen jeden Versuch ihnen dieses neue Gefühl von Freiheit, Selbstwert und ja, auch Heimat, wieder wegzunehmen. Nicht zuletzt auch aus dem einfachen Grund, dass vor allem die regionale und europäische Gesellschaft dadurch verliert. Wir durften bei 25 Kindern miterleben, wie mit ein bisschen Motivation, Hilfestellung und einem geregelten Programm Potentiale, Persönlichkeiten und Talente aufblühen und zum unbedingten Gewinn für eine Gesellschaft werden. Nicht auszumalen, was passiert, wenn noch mehr Kinder – und sogar Erwachsene – mit ähnlichen Projekten Förderung erfahren.
Dementsprechend befinden wir die Summer School 2021 als erfolgreiches Modellprojekt, dessen Wiederholung und Ausweitung unbedingt lohnenswert, ja sogar von Nöten ist. Wir sind uns jedoch im Klaren, dass solche Anstrengungen nicht von einem Paar Schultern getragen werden können, sondern der Solidarität mehrerer Akteure bedürfen. Unser aufrichtiger Dank geht deshalb erneut an das Athenée de Luxembourg und den Förder- und Freundeskreises Elliniko e.V., ohne deren tatkräftige Unterstützung dieses Projekt niemals so verwirklicht hätte werden können.
Wir hoffen, dass die solidarische Zusammenarbeit über Grenzen hinweg auch für die Folgeprojekte bestehen bleibt und wir vereint als europäische Zivilgesellschaft weiterhin dort aktiv werden, wo Politik, Medien und Mehrheitsgesellschaft Themen bewusst oder unbewusst in einen toten Winkel der Aufmerksamkeit gedrängt haben. Es ist an uns zu reagieren – und sie dort herauszuholen.